Wednesday, January 30, 2013

Selbstbilder und Fremdbilder der Kulturen


Selbstbilder und Fremdbilder der Kulturen
(veröffentlicht 2007)
Interkultureller Dialog und (Kultur-)Kommunikation sind davon mitbestimmt und bestimmen es immer wieder neu: Das Bild, das eine Kultur von sich selbst hat, das vielfach einem Identifikationsmuster gleichkommt und damit auch Identität bedeutet, und das Fremdbild, das Image einer Kultur, das Bild also, dass sich die anderen von ihr machen.

National- und andere Kulturen
Was aber ist Kultur, was kulturelle Identität? Zu einfach wäre es, Kulturen nur als Nationalkulturen zu betrachten, dennoch ist gerade das Konzept der Nationalkultur identitätsstiftend.
Üblicherweise steht nationale Identität für einen Grundkonsens, eine kulturelle Homogenisierung etwa durch eine Nationalsprache oder -religion. Nationalkulturen streben Deckungsgleichheit für Kultur und Staatswesen an. Nationalkulturen versuchen, auch verschiedenartigste Mitglieder einer Gemeinschaft als Angehörige desselben Kulturkreises zu präsentieren. Damit kann man ein Zusammengehörigkeitsgefühl schaffen, darin liegt aber auch die Gefahr einer Grenzziehung durch Kultur, einer Ausgrenzung des Fremden.
Wenn man versucht, die Kulturdefinitionen auf größere Räume als eine Nation anzuwenden, ergeben sich eine Reihe von positiven Möglichkeiten und Utopien, aber manchmal auch schiefe, unhaltbare Gegenüberstellungen wie „Der Islam und der Westen“ – als gäbe es im Westen keinen Islam (und im Osten keine anderen religiösen Gruppen).

Multiple Identitäten
Multiple Identitäten schließen eine nationale Identität ein. So schreiben die AutorInnen einer im Oktober 1996 veröffentlichten Studie zur Demographie der Europäischen Identität in der Einleitung:
“Contrary to common belief, the development of a European identity does not have to be accompanied by the decline of a national identity. Rather, European integration has established a new context that people can identify with and hence, opens up the possibility of multiple identities.”
Insgesamt identifizieren sich in Europa immer mehr Menschen sowohl mit ihrer Nation als auch als EuropäerInnen. Sie gehören zusätzlich verschiedenen Religionen an, definieren sich vielleicht außerdem noch als Intellektuelle oder haben einen Freundeskreis, der zu einem Gutteil aus Internet-Bekanntschaften aus aller Welt besteht. Auch eine solche „Community“ schafft sich ihre kulturellen Zugehörigkeiten und stellt einen Teil der Identität des Individuums dar.
Der arabische Raum wird einerseits durch die Sprache und andererseits durch die islamische Kultur geeint. Dennoch gibt es auch andere religiöse Kulturen, und das Selbstbild der Ägypter ist – anders als das vieler anderer arabischer Länder -wesentlich stärker durch Kultur geprägt als durch Wirtschaft.

Selbstbilder, Identität, Mythen
Das Thema Identität, das durch das Selbstbild bestimmt wird, lässt sich wieder am leichtesten anhand der Nationalkulturen betrachten – anhand von Österreich und Ägypten als Beispiel.
Durch den „Habsburgischen Mythos“ (die Habsburgermonarchie war ein multikultureller Vielvölkerstaat) hat Österreich vielleicht einen Startvorteil, wenn es ums Denken in multiplen Identitäten geht. Da Österreich und die ÖsterreicherInnen schon immer gut darin waren, Widersprüche auszuhalten, gibt es zusätzlich aber etwas wie eine Mentalität des „Mir san Mir“ (hochdeutsch: „Wir sind wir“), die sich weniger gut erklären lässt und österreichische Weltbürger und Intellektuelle manchmal etwas weniger stolz auf sein Land sein lässt.
Auch die ägyptische Identität stützt sich (wie jede Identität) auf eine Reihe von Mythen. Die pharaonische Kultur, die Ägypten als „Mutter der Welt“ mitbestimmt, fehlt in keinem Reiseprospekt und kaum je in Statements zur Nationalkultur. Auch Religiosität (nicht nur islamische, sondern auch christliche!) und ein starkes Beharren auf Traditionen sind für ÄgypterInnen Elemente, die wichtig für ihre kulturelle Identität sind. Interkulturelle Kontakte (durch die französische Invasion und die britische Okkupation, aber u.a. auch durch Studienaufenthalte von Intellektuellen im Ausland) bewirkten säkulare Einflüsse, auf die vor allem die ägyptischen Intellektuellen auch heute noch stolz sind. Weitere identitätsstiftende Elemente sind oder waren der Pan-Arabismus, die Rolle als Führerin der afrikanischen Welt und der Islamismus, von dem sich der Staat Ägypten allerdings nach der Islamischen Revolution im Iran abgewandt hat.
Anhand dieser beiden Nationalkulturen lässt sich leicht zeigen, wie sehr sogar Selbstbilder aus Widersprüchen zusammengesetzt sein können. Verbindendes Selbstbild der ÖsterreicherInnen und der ÄgypterInnen: Beides sind Kulturnationen, die mit großem Stolz auf ihre weit zurückreichenden Wurzeln und ihre berühmten Kulturdenkmäler, KünstlerInnen und Intellektuellen blicken, auch wenn ihnen letztere manchmal etwas unangenehm sind. So hatten und haben sowohl Elfriede Jelinek als auch Naguib Machfus in ihrem jeweiligen Inland nicht nur Freunde, wenngleich man auf sie als NobelpreisträgerInnen stolz ist.

Fremdbilder, Stereotype, Image
Sucht man mit „Google“ nach Erstinformationen zu Ägypten, stehen auch hier die Pharaonen und ihre Kultur an der Spitze der Suchergebnisse. Dicht gefolgt werden sie vom sonnigen Urlaubs-Ägypten, das Sonne, Strand und Wüstensand zu bieten hat. Ein weiteres Fremdbild ist das negative, von Bombenanschlägen und Terrorismus geprägte. Für jene, die in Ägypten ein- oder mehrmals Urlaub gemacht haben, wird aber immer das Bild jener gastfreundlichen, herzlichen Menschen mitschwingen, die sie bei ihrem Aufenthalt kennen gelernt haben.
Österreich ist das Land des Walzers, oft (gerade im arabischen Raum) auch jenes von „Sound of Music“, einem Film, der in Österreich nur wenig bekannt ist, aber sein Image nach wie vor sehr stark prägt. Ferner sind die Österreicher im „Land der Berge“ zu Hause. Auch Österreichs Seen und andere landschaftliche Schönheiten haben sich zu einem Bild verdichtet, das dem Land im Ausland viele FreundInnen und bewundernde Kommentare einbringt. Das Fremdbild Österreichs wird aber auch immer wieder mit jenem von Deutschland vermischt, wovon viele österreichische Auslandreisende wohl ein Lied singen können. Manchmal wird „Austria“ in den Vorstellungen auch zu „Australia“. Im arabischen Raum sind „innimsa“ und „Vienna“ aber immerhin auch von einer Sängerin in „Layali el onz fi vienna“ (Die glücklichen Nächte in Wien) verewigt worden.

Die Rolle der Medien
Die kommunikationswissenschaftliche Theorie des „Agenda Setting“ beschreibt die Rolle der Medien in Hinsicht auf Themen, die in der Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert werden. Entsprechend dieser Theorie haben die Medien zwar keinen großen Einfluss darauf, was die RezipientInnen zu den einzelnen Themen denken, aber darauf, über welche Themen nachgedacht wird. Kritiker meinen, dass die Theorie den Medien zuviel Macht einräumt und Informationsflüsse innerhalb von Gruppen vernachlässigt werden.
In einer Diskussion am Rande der Eröffnung der Ausstellung „Muslims in Austria“ (Kairo, November 2006) wurde denn auch die These, die Medien prägten die Bilder der Muslime, scharf kritisiert. Schließlich seien es die LeserInnen, die die Medien auswählten und sehr oft ihre eigene Meinung in die Lektüre einbrächten.
In diesem Sinne basiert die „Meinungsverstärker-Hypothese“ denn auch darauf, dass Massenmedien eher der Meinungsverstärkung dienen. Jeder wählt das Medium aus, das der eigenen Meinung weitestgehend entspricht und diese verstärkt. Als „Prinzip der Dissonanzvermeidung“ bezeichnen KommunikationswissenschafterInnen die Vermeidung von Medien (und Medieninhalten), die im Gegensatz zur eigenen Meinung stehen. Auch der Nutzenansatz (uses and gratifications approach) geht von einem (zumindest teilweise) mündigen und aktiven Medienkonsumenten aus, der in der Mediennutzung in erster Linie die Befriedigung seiner Bedürfnisse (und damit einen Nutzen) sucht.
Haben die medial vermittelten Bilder also weniger Macht über das Publikum und ihre Bilder von Menschen, Kulturen oder Nationen als man es uns oft glauben macht?
Wenn man an den dänisch-arabischen „Karikaturenstreit“ denkt, scheinen die Theorien nicht zu greifen. Auch der österreichische Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten, Hans Winkler scheint das Thema anders zu sehen, wenn er in seiner Festrede zur österreichischen Auslandskulturtagung 2006 meint:
„Künstler und Wissenschaftler, sowie die Macht der Bilder und der Worte beeinflussen die öffentliche Meinung und nehmen in gewissem Maße auch Einfluss auf die Politik eines Landes, da Ereignisse durch die internationale Vernetzung innerhalb kürzester Zeit medial weltweit verbreitet werden können.“

Nation Branding
„Auslandskulturpolitik“, so Winkler weiter, „arbeitet an den Schnittstellen zwischen Image und Identität“. Wohl jedes Land wünscht sich, dass das Selbstbild (die Identität) möglichst nahe an sein Image (das Fremdbild) heranrückt. Und so, wie auch Individuen sich gegen „falsche“ Bilder zur Wehr zu setzen versuchen, versucht auch der Staat als politische Instanz ein Image einer Nation aufzubauen, das dem Selbstbild (oder zumindest dessen positiven Seiten) möglichst nahe ist. Da in Europa die Kultur(politik) immer näher an die Wirtschaft heranrückt, hat man dieser Tätigkeit der Image-Kommunikation nun den Terminus „Nation Branding“ gegeben. Ob der neue Name und neue Strategien das Image, das eine Nation im Ausland hat, wohl verändern können?

Österreich und Ägypten – zwei „Kulturnationen“
Österreich und Ägypten können eigentlich mit ihrem Selbst- und Fremdbild als „Kulturnationen“ zufrieden sein. Wenn es gelingt, das mediale und das Publikumsinteresse noch mehr auf zeitgenössische Entwicklungen zu lenken und die Diversität zu kommunizieren, die sich aus dem reichen kulturellen Erbe beider Länder entwickelt hat, kann das ohnehin schon positive Image ein wenig entstaubt werden. Ob die TouristInnen das mögen? Auch für die ÖsterreicherInnen und ÄgypterInnen, die sich viel auf Traditionen zugute halten, stellt sich die Frage, wie viel Erfrischung ihr Selbstbild verträgt. In beiden Ländern aber steht das Alte neben dem Neuen, das sich oft auf lustvolle Art mit dem kulturellen Erbe auseinandersetzt und schon allein deshalb nicht vernachlässigt werden sollte.

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Weiterführende Informationen im Internet :
Andrea Naica-Loebell: Multiple Identität junger Europäer. In: Telepolis. http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23807/1.html
Arne Haselbach: On Ways and patterns of thinking “Identity”. In: Vienna Think Tank. WWW: http://www.vienna-thinktank.at/ocpi1994/94ocpi_haselbach.htm
Assem Al Desouky: Changes of the Egyptian Identity. In: Al Ahram Democracy Review. No. 23/July/2006. WWW: http://democracy.ahram.org.eg/eng/Archive/Index.asp?CurFN=selt2.htm&DID=8899 (Link inaktiv)
Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten, Kulturpolitische Sektion, Referat für kulturelle Öffentlichkeitsarbeit (Hg): Auslandkulturtagung 2005. Österreich zwischen Image und Identität. WWW: http://www.bmeia.gv.at/aussenministerium/aussenpolitik/auslandskultur/virtuelle-galerie/auslandskulturtagung-2005.html
Wolfgang Lutz, Sylvia Kritzinger, Vegard Skirbekk: The Demography of Growing European Identity. (Science 20 October 2006: Vol. 314. no. 5798, p. 425). WWW: http://www.sciencemag.org/cgi/content/full/314/5798/425/DC1
Österreich 2005. Gesprächsrunde 18. Oktober 2005 des “Netzsymposion“. WWW: http://www.austria.gv.at/site/4491/default.aspx
Rede von Hans Winkler zur österreichischen Auslandskulturtagung 2006: Inernationale Resonanzen - Der Beitrag der Kultur zur Public Diplomacy. WWW: http://www.bmeia.gv.at/aussenministerium/pressenews/reden-und-interviews/2006/rede-von-staatssekretaer-dr-hans-winkler-bei-der-oesterreichischen-auslandskulturtagung-2006-am-7-september-2006.html
TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften, insbes. Nr. 15: Das Verbindende der Kulturen. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/inhalt15.htm
Wikipedia: Agenda Setting. WWW: http://de.wikipedia.org/wiki/Agenda_Setting
Wikipedia: Massenkommunikation. WWW: http://de.wikipedia.org/wiki/Massenkommunikation

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Editorial zum Magazin der österreichisch-arabischen Informationsplattform „Selbstbilder und Fremdbilder der Kulturen" (2007). Abruf via wayback machine: http://web.archive.org/web/20071107144529/http://www.austro-arab.net/1_Article_German.asp?id=1

Monday, January 21, 2013

Tarek ElTayeb: Das Palmenhaus


„Ich bin jetzt hier, hier in Wien“

Der in Wien lebende Schriftsteller Tarek Eltayeb las im „El Sawy Cultural Center“ in Kairo aus seinem Roman „Das Palmenhaus“ (publiziert 2005)

   „Ich war Frühling,
    als ich in Wien landete,
    in meinem Kopf eine verpflanzte Palme.
    Ihre Triebe sind in zwei Jahren Blätter geworden.

    Der Herbst kam
    und packte sein Hab und Gut zusammen.
    Doch ich hatte bereits vor ihm das Laub aufgesammelt,
    das mir vom Kopf gefallen war.
    Ich versteckte es
    für meinen Schlaf und meine Wangen.
    Im Traum war es eine Palme,
    im Wachsein ein Polster.

    Ich bin Sommer geworden.
    Unter dem Druck meines Kopfs höre ich es rascheln.
    Es flüstert ins Ohr meiner Träume.

    Und ich habe begonnen,
    mich vor dem Winter zu fürchten.“



Dieses Gedicht, „Jahreszeiten einer verpflanzten Palme“, schrieb Tarek Eltayeb im Jahr 2000 in Wien. 

16 Jahre hatte er bereits hier zugebracht, zum Teil mit dem Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, das er 1997 mit Doktorat abschloss. Der 1959 als Sohn sudanesischer Eltern in Kairo geborene und aufgewachsene Autor hatte 1985 begonnen, literarisch zu schreiben.
„Ich hatte Heimweh und am Anfang keine Freunde gefunden, die sich für Literatur interessierten. Man sprach oberflächlich über die Arbeit, die Miete und den Tagesablauf. Jeden Tag dasselbe und mehr nicht! Da habe ich begonnen, sehr viel zu lesen, und die Bücher waren eben meine Freunde. Dann wollte ich das Schreiben einmal selbst versuchen. Ich war froh, weil ich durch das Schreiben meine Balance fand.“

Das erzählt er in der 1996 erschienenen Anthologie „JEDER IST anderswo EIN FREMDER“, in der auch Lyrik und Prosa von ihm abgedruckt sind. Schon davor konnte Tarek Eltayeb nicht nur auf zahlreiche Veröffentlichungen in arabischsprachigen Zeitungen und Zeitschriften in Europa und arabischen Ländern verweisen, sondern auch auf mehrere Bücher in arabischer Sprache. Noch immer ist das Arabische die Sprache, in der der Schriftsteller seine Werke verfasst. Sie werden von seiner Frau, der Arabistin Ursula Eltayeb, ins Deutsche übertragen. Doch obwohl Arabisch die Sprache für seine literarisches Schaffen ist, war es für Tarek Eltayeb ein Anliegen „die deutsche Sprache so gut zu erlernen, daß ich sofort weiß: Was meint der, der da vor mir sitzt?“:

„Wenn man in einem fremden Land leben will, muß man die Sprache sehr gut beherrschen und viel   über die Kultur lernen. Da muß man schauen, wie die Leute wirklich leben. Was denken die Leute? Man hört Radio, man schaut fern, man muß auch auf die Straße gehen und mit den Menschen sprechen. Ich kann nicht mit meiner Kultur die Österreicher analysieren und sagen ‚Die machen das anders als wir.’ Ich bin nicht von hier und ich muss mich mit der Zeit anpassen, aber so, dass ich meine Kultur nicht verliere.“


Das neueste Werk von Tarek Eltayeb, das in deutscher Sprache im Herbst 2005 in der Edition Selene erscheinen wird, heißt „Das Palmenhaus“.

Das Palmenhaus im Park des Schlosses Schönbrunn in Wien ist eine gigantische Stahl-Eisen-Glas-Konstruktion, eine Meisterleistung der Architektur des 19. Jahrhunderts. Dieses einzigartige Glashaus lässt Phantasien von weit entfernten tropischen Ländern und ihrer Flora für die Wiener Wirklichkeit werden. Für den Protagonisten des Romans, „Hamza“, wird es zum Ort, der lang verblasste Erinnerungen an Kindheit und Familie im Sudan wieder lebendig werden lässt. Hamza, meistens hungrig und frierend vor Kälte und Einsamkeit, ist Immigrant in Wien, einer für ihn „herausgeputzten, sanftmütigen, historischen Stadt, in der Menschen wie ich an den Rand gedrängt werden.“ Hamza steht damit für viele Migranten, die herausfinden, dass Europa für sie nicht das faszinierende Land überquellenden Reichtums ist, das sie sich vorgestellt haben. Mit seinem Leben im kalten und oft unfreundlichen europäischen Hier und Jetzt, seiner Begegnung mit einer Wienerin, die Wärme in sein Leben bringt und seinen Träumen von den Stätten und Menschen seiner Vergangenheit wird Hamza zum Wanderer zwischen den Welten und den Kulturen, zwischen Einsamkeit und Hoffnung und zwischen den Zeiten, was auch eine Leseprobe aus dem Roman veranschaulicht:

“In dieser Stadt bin ich allmählich wie die Leute hier geworden. Aber ich kann der Zeit nicht trauen und muss immer darauf gefasst sein, dass sich meine Lage von einem Augenblick zum anderen in etwas mir Unbekanntes verwandeln könnte. Ich warte auf etwas, das ich nicht kenne, und das mir Angst macht. Ich durchlebe jetzt eine Zeit der Menschen dieser Stadt, in einer gefährlichen Zeit. Wissen Sie, ich bin von einem Ort gekommen, in dem man die Zeit wie die Ziegen vor sich hertreibt. Man sagt: „Bleib stehen!“ und sie bleibt stehen, „Geh weiter!“, und sie geht weiter. Man treibt sie vor sich her, und beim ersten Baum legt man sich hin, um auszuruhen und auf der Zeit zu schlafen, ohne Uhr und ohne Zeitrechnung. Wenn man wach wird, scheucht man die Zeit von neuem vor sich her bis zu den Häusern, um dort wieder zu schlafen. Hier ist es umgekehrt. Die Zeit ist wie ein Raubtier hinter den Menschen her, läuft jedem nach, zerfleischt den zu Langsamen und frisst den Schwachen auf, kreist über den Menschen her wie ein Raubvogel. Hier muss man vor der Zeit her rennen und rennen, bis man zusammenbricht. Ich habe die Zeit der Menschen dort durchlebt und durchlebe nun die Zeit der Menschen hier, ohne eine Wahl gehabt zu haben, ohne zu wissen, was besser ist. Aber ich bin von beiden müde.“


Tarek Eltayeb gibt in seinen Werken jenen eine Stimme, die ausgezogen sind, weil sie in ihrer Heimat nicht mehr leben können oder wollen, und in der Fremde das Glück suchen – meistens, ohne dabei glücklich zu sein. Er zeichnet poetische und bewegende Skizzen, die die Lesenden in ihren Bann ziehen und zu einem neuen Bild verschmelzen, das nicht das „Eigene“ oder das „Fremde“ darstellt, sondern die vielfältigen Räume, die sich durch die Begegnung von Kulturen eröffnen.
In der BAWAG-Anthologie „Macht Religion Sinn“ (Wien 2002) beschreibt Tarek Eltayeb seine eigene vielfache kulturelle Zugehörigkeit:

„Wir leben nun am Anfang des 21. Jahrhunderts, ich bin Mitte vierzig und habe die Hälfte meines Lebens in einer „islamischen Gesellschaft“, die andere Hälfte in einer „christlichen Gesellschaft“ verbracht. Die Anführungszeichen sind bewusst gesetzt, da ich weder die eine noch die andere so bezeichnen würde. Beide setzen sich für mich aus den unterschiedlichsten Facetten zusammen, Religion spielt dabei wohl eine Rolle, aber bei weitem nicht die einzige. Ich persönlich hatte nie einen Kampf zwischen den beiden in mir auszufechten. Eigenartig ist es nur, wenn man dieses „Gleichgewicht“ als außerhalb der Norm interpretiert [...]. Man möchte mich unbedingt in eine bestimmte Schublade einordnen und es fällt schwer, mich so anzunehmen, wie ich bin, geprägt von unterschiedlichen Kulturen, Traditionen, Religionen.“


Tarek Eltayeb, der nicht nur literarisch tätig ist, sondern auch als Fachhochschulprofessor am International Management Center der University of Applied Sciences in Krems arbeitet, hatte vor seinem Studium in Wien an der Ain Shams Universität in Kairo Betriebswirtschaft studiert. Er freute sich sehr, vom Österreichischen Kulturforum Kairo in die Stadt seiner Jugend eingeladen zu werden, und dabei auch an der Ain Shams Universität zu lesen. Einer der Höhepunkte seiner Lesereise durch Ägypten war mit Sicherheit die Präsentation seiner Werke im El Sawy Culture Wheel, bei der sich unter dem zahlreich erschienenen Publikum auch namhafte ägyptische LiteraturwissenschafterInnen und SchriftstellerInnen wie Salwa Bakr befanden, mit denen der Autor zum Teil seit Jahren Kontakte pflegt.
 
Werke von Tarek ElTayeb:

auf Deutsch:
  • Städte ohne Dattelpalmen . Lyrik und Prosa von und ein Gespräch mit Tarek Eltayeb. In: JEDER IST anderswo ein FREMDER. Hrsg. von Christa Stippinger. Wien 1996 (=Interkulturelle Reihe des Vereins Exil im Amerlinghaus, Bd.1). S. 80-94.
  • Ein mit Tauben und Gurren gefüllter Koffer ; Gedichte und Prosa. Arabisch/Deutsch (aus dem Arabischen von Ursula Eltayeb), edition selene, Wien 1999.
  • Städte ohne Dattelpalmen . Roman (aus dem Arabischen von Ursula Eltayeb), edition selene, Wien 2000.
  • Aus dem Teppich meiner Schatten, Gedichte und Prosa (aus dem Arabischen von Ursula Eltayeb), edition selene, Wien 2002. Das am Anfang dieses Artikels abgedruckte Gedicht ist diesem Band entnommen.
  • Macht Religion Sinn? Ein Leben zwischen islamischen und christlichen Welten. In: Macht Religion Sinn. Eine BAWAG-Anthologie über Gott und die Welt, Ueberreuter, Wien 2002. S. 9-19.
  • Das Palmenhaus. Roman. edition selene, Wien 2005.  (der Roman erschien 2007 im Verlag Hans Schiler - korrigiert 2013-02-01)
 
الأعمال المنشورة:
  • مدن بلا نخيل، رواية، طبعة أولى، دار الجمل، كولونيا، ألمانيا 1992
  • طبعة ثانية، دار الحضارة للنشر، القاهرة 1994
  • الأسانسير، مسرحية، السلام للطباعة والنشر، القاهرة 1992
  • الجمل لا يقف خلف إشارة حمراء، مجموعة قصصية، دار الحضارة للنشر، القاهرة 1993
  • اذكروا محاسن ... ، مجموعة قصصية، دار شرقيات للنشر، القاهرة 1998
  • حقيبة مملوءة بحمام وهديل (عربي – ألماني)، قصائد ونصوص، دار سيلينه للنشر، فيينـّا 1999
  • تخليصات (إرهاب العين البيضاء) حس، دار ميريت للنشر، القاهرة 2002
 
Weiterführende Informationen im Internet (aktualisiert 2013)
Aus: Österreichisch-arabische Informationsplattform: Magazin 1/2005 (http://www.austro-arab.net)