Monday, January 21, 2013

Tarek ElTayeb: Das Palmenhaus


„Ich bin jetzt hier, hier in Wien“

Der in Wien lebende Schriftsteller Tarek Eltayeb las im „El Sawy Cultural Center“ in Kairo aus seinem Roman „Das Palmenhaus“ (publiziert 2005)

   „Ich war Frühling,
    als ich in Wien landete,
    in meinem Kopf eine verpflanzte Palme.
    Ihre Triebe sind in zwei Jahren Blätter geworden.

    Der Herbst kam
    und packte sein Hab und Gut zusammen.
    Doch ich hatte bereits vor ihm das Laub aufgesammelt,
    das mir vom Kopf gefallen war.
    Ich versteckte es
    für meinen Schlaf und meine Wangen.
    Im Traum war es eine Palme,
    im Wachsein ein Polster.

    Ich bin Sommer geworden.
    Unter dem Druck meines Kopfs höre ich es rascheln.
    Es flüstert ins Ohr meiner Träume.

    Und ich habe begonnen,
    mich vor dem Winter zu fürchten.“



Dieses Gedicht, „Jahreszeiten einer verpflanzten Palme“, schrieb Tarek Eltayeb im Jahr 2000 in Wien. 

16 Jahre hatte er bereits hier zugebracht, zum Teil mit dem Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, das er 1997 mit Doktorat abschloss. Der 1959 als Sohn sudanesischer Eltern in Kairo geborene und aufgewachsene Autor hatte 1985 begonnen, literarisch zu schreiben.
„Ich hatte Heimweh und am Anfang keine Freunde gefunden, die sich für Literatur interessierten. Man sprach oberflächlich über die Arbeit, die Miete und den Tagesablauf. Jeden Tag dasselbe und mehr nicht! Da habe ich begonnen, sehr viel zu lesen, und die Bücher waren eben meine Freunde. Dann wollte ich das Schreiben einmal selbst versuchen. Ich war froh, weil ich durch das Schreiben meine Balance fand.“

Das erzählt er in der 1996 erschienenen Anthologie „JEDER IST anderswo EIN FREMDER“, in der auch Lyrik und Prosa von ihm abgedruckt sind. Schon davor konnte Tarek Eltayeb nicht nur auf zahlreiche Veröffentlichungen in arabischsprachigen Zeitungen und Zeitschriften in Europa und arabischen Ländern verweisen, sondern auch auf mehrere Bücher in arabischer Sprache. Noch immer ist das Arabische die Sprache, in der der Schriftsteller seine Werke verfasst. Sie werden von seiner Frau, der Arabistin Ursula Eltayeb, ins Deutsche übertragen. Doch obwohl Arabisch die Sprache für seine literarisches Schaffen ist, war es für Tarek Eltayeb ein Anliegen „die deutsche Sprache so gut zu erlernen, daß ich sofort weiß: Was meint der, der da vor mir sitzt?“:

„Wenn man in einem fremden Land leben will, muß man die Sprache sehr gut beherrschen und viel   über die Kultur lernen. Da muß man schauen, wie die Leute wirklich leben. Was denken die Leute? Man hört Radio, man schaut fern, man muß auch auf die Straße gehen und mit den Menschen sprechen. Ich kann nicht mit meiner Kultur die Österreicher analysieren und sagen ‚Die machen das anders als wir.’ Ich bin nicht von hier und ich muss mich mit der Zeit anpassen, aber so, dass ich meine Kultur nicht verliere.“


Das neueste Werk von Tarek Eltayeb, das in deutscher Sprache im Herbst 2005 in der Edition Selene erscheinen wird, heißt „Das Palmenhaus“.

Das Palmenhaus im Park des Schlosses Schönbrunn in Wien ist eine gigantische Stahl-Eisen-Glas-Konstruktion, eine Meisterleistung der Architektur des 19. Jahrhunderts. Dieses einzigartige Glashaus lässt Phantasien von weit entfernten tropischen Ländern und ihrer Flora für die Wiener Wirklichkeit werden. Für den Protagonisten des Romans, „Hamza“, wird es zum Ort, der lang verblasste Erinnerungen an Kindheit und Familie im Sudan wieder lebendig werden lässt. Hamza, meistens hungrig und frierend vor Kälte und Einsamkeit, ist Immigrant in Wien, einer für ihn „herausgeputzten, sanftmütigen, historischen Stadt, in der Menschen wie ich an den Rand gedrängt werden.“ Hamza steht damit für viele Migranten, die herausfinden, dass Europa für sie nicht das faszinierende Land überquellenden Reichtums ist, das sie sich vorgestellt haben. Mit seinem Leben im kalten und oft unfreundlichen europäischen Hier und Jetzt, seiner Begegnung mit einer Wienerin, die Wärme in sein Leben bringt und seinen Träumen von den Stätten und Menschen seiner Vergangenheit wird Hamza zum Wanderer zwischen den Welten und den Kulturen, zwischen Einsamkeit und Hoffnung und zwischen den Zeiten, was auch eine Leseprobe aus dem Roman veranschaulicht:

“In dieser Stadt bin ich allmählich wie die Leute hier geworden. Aber ich kann der Zeit nicht trauen und muss immer darauf gefasst sein, dass sich meine Lage von einem Augenblick zum anderen in etwas mir Unbekanntes verwandeln könnte. Ich warte auf etwas, das ich nicht kenne, und das mir Angst macht. Ich durchlebe jetzt eine Zeit der Menschen dieser Stadt, in einer gefährlichen Zeit. Wissen Sie, ich bin von einem Ort gekommen, in dem man die Zeit wie die Ziegen vor sich hertreibt. Man sagt: „Bleib stehen!“ und sie bleibt stehen, „Geh weiter!“, und sie geht weiter. Man treibt sie vor sich her, und beim ersten Baum legt man sich hin, um auszuruhen und auf der Zeit zu schlafen, ohne Uhr und ohne Zeitrechnung. Wenn man wach wird, scheucht man die Zeit von neuem vor sich her bis zu den Häusern, um dort wieder zu schlafen. Hier ist es umgekehrt. Die Zeit ist wie ein Raubtier hinter den Menschen her, läuft jedem nach, zerfleischt den zu Langsamen und frisst den Schwachen auf, kreist über den Menschen her wie ein Raubvogel. Hier muss man vor der Zeit her rennen und rennen, bis man zusammenbricht. Ich habe die Zeit der Menschen dort durchlebt und durchlebe nun die Zeit der Menschen hier, ohne eine Wahl gehabt zu haben, ohne zu wissen, was besser ist. Aber ich bin von beiden müde.“


Tarek Eltayeb gibt in seinen Werken jenen eine Stimme, die ausgezogen sind, weil sie in ihrer Heimat nicht mehr leben können oder wollen, und in der Fremde das Glück suchen – meistens, ohne dabei glücklich zu sein. Er zeichnet poetische und bewegende Skizzen, die die Lesenden in ihren Bann ziehen und zu einem neuen Bild verschmelzen, das nicht das „Eigene“ oder das „Fremde“ darstellt, sondern die vielfältigen Räume, die sich durch die Begegnung von Kulturen eröffnen.
In der BAWAG-Anthologie „Macht Religion Sinn“ (Wien 2002) beschreibt Tarek Eltayeb seine eigene vielfache kulturelle Zugehörigkeit:

„Wir leben nun am Anfang des 21. Jahrhunderts, ich bin Mitte vierzig und habe die Hälfte meines Lebens in einer „islamischen Gesellschaft“, die andere Hälfte in einer „christlichen Gesellschaft“ verbracht. Die Anführungszeichen sind bewusst gesetzt, da ich weder die eine noch die andere so bezeichnen würde. Beide setzen sich für mich aus den unterschiedlichsten Facetten zusammen, Religion spielt dabei wohl eine Rolle, aber bei weitem nicht die einzige. Ich persönlich hatte nie einen Kampf zwischen den beiden in mir auszufechten. Eigenartig ist es nur, wenn man dieses „Gleichgewicht“ als außerhalb der Norm interpretiert [...]. Man möchte mich unbedingt in eine bestimmte Schublade einordnen und es fällt schwer, mich so anzunehmen, wie ich bin, geprägt von unterschiedlichen Kulturen, Traditionen, Religionen.“


Tarek Eltayeb, der nicht nur literarisch tätig ist, sondern auch als Fachhochschulprofessor am International Management Center der University of Applied Sciences in Krems arbeitet, hatte vor seinem Studium in Wien an der Ain Shams Universität in Kairo Betriebswirtschaft studiert. Er freute sich sehr, vom Österreichischen Kulturforum Kairo in die Stadt seiner Jugend eingeladen zu werden, und dabei auch an der Ain Shams Universität zu lesen. Einer der Höhepunkte seiner Lesereise durch Ägypten war mit Sicherheit die Präsentation seiner Werke im El Sawy Culture Wheel, bei der sich unter dem zahlreich erschienenen Publikum auch namhafte ägyptische LiteraturwissenschafterInnen und SchriftstellerInnen wie Salwa Bakr befanden, mit denen der Autor zum Teil seit Jahren Kontakte pflegt.
 
Werke von Tarek ElTayeb:

auf Deutsch:
  • Städte ohne Dattelpalmen . Lyrik und Prosa von und ein Gespräch mit Tarek Eltayeb. In: JEDER IST anderswo ein FREMDER. Hrsg. von Christa Stippinger. Wien 1996 (=Interkulturelle Reihe des Vereins Exil im Amerlinghaus, Bd.1). S. 80-94.
  • Ein mit Tauben und Gurren gefüllter Koffer ; Gedichte und Prosa. Arabisch/Deutsch (aus dem Arabischen von Ursula Eltayeb), edition selene, Wien 1999.
  • Städte ohne Dattelpalmen . Roman (aus dem Arabischen von Ursula Eltayeb), edition selene, Wien 2000.
  • Aus dem Teppich meiner Schatten, Gedichte und Prosa (aus dem Arabischen von Ursula Eltayeb), edition selene, Wien 2002. Das am Anfang dieses Artikels abgedruckte Gedicht ist diesem Band entnommen.
  • Macht Religion Sinn? Ein Leben zwischen islamischen und christlichen Welten. In: Macht Religion Sinn. Eine BAWAG-Anthologie über Gott und die Welt, Ueberreuter, Wien 2002. S. 9-19.
  • Das Palmenhaus. Roman. edition selene, Wien 2005.  (der Roman erschien 2007 im Verlag Hans Schiler - korrigiert 2013-02-01)
 
الأعمال المنشورة:
  • مدن بلا نخيل، رواية، طبعة أولى، دار الجمل، كولونيا، ألمانيا 1992
  • طبعة ثانية، دار الحضارة للنشر، القاهرة 1994
  • الأسانسير، مسرحية، السلام للطباعة والنشر، القاهرة 1992
  • الجمل لا يقف خلف إشارة حمراء، مجموعة قصصية، دار الحضارة للنشر، القاهرة 1993
  • اذكروا محاسن ... ، مجموعة قصصية، دار شرقيات للنشر، القاهرة 1998
  • حقيبة مملوءة بحمام وهديل (عربي – ألماني)، قصائد ونصوص، دار سيلينه للنشر، فيينـّا 1999
  • تخليصات (إرهاب العين البيضاء) حس، دار ميريت للنشر، القاهرة 2002
 
Weiterführende Informationen im Internet (aktualisiert 2013)
Aus: Österreichisch-arabische Informationsplattform: Magazin 1/2005 (http://www.austro-arab.net)

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